24. Februar bis 14. April 2002
Markus Mußinghoff, Düsseldorf |
Skulptur
Stipendiatenausstellung
Noch ist der Bellevue-Saal in Wiesbaden eine Baustelle: bedeckt mit Sägespänen, vollgestellt mit Leitern, einer Kreissäge, Bohrmaschinen und Schraubzwingen, erfüllt vom würzigen Geruch des Holzes. Doch bis Mitte dieser Woche möchte der Düsseldorfer Künstler Markus Mußinghoff seine raumfüllende Skulptur fertigstellen. Für ihre Anfertigung hat Mußinghoff, der sich sonst auch der Medien Video, Fotografie und Performance bedient, als Stipendiat des Wiesbadener „Vereins zur Förderung künstlerischer Projekte mit gesellschaftlicher Relevanz“ ein städtisches Stipendium in Höhe von 3000 Euro erhalten und konnte vier Monate in Wiesbaden arbeiten und leben.
Seit Anfang März baut Mußinghoff an seiner Raumskulptur, die bisher nur den Arbeitstitel „This Spring“ trägt: ein 17 Meter langes, vier Meter hohes und höchstens 70 Zentimeter tiefes, leicht gekrümmtes Objekt, zusammengezimmert aus ungefähr 420 Quadratmetern Schalbrettern und Dachlatten. Mit ihr geht der 1962 geborene Künstler, der an der Kunstakademie Düsseldorf bei David Rabinowitch und Erich Reusch studiert hat, auf eine Besonderheit des alten Bellevue-Saals ein: Dessen gebogene, zweiflügelige Tür befindet sich in einer der Saalecken. „Der Raum öffnet sich wie eine Schatulle“, findet Markus Mußinghoff. Betritt der Besucher dieses Schmuckkästchen, wird er jetzt sogleich mit der sich bis zur Tür ausdehnenden „Wand“ konfrontiert, mit der Mußinghoff den Raum beinahe genau in zwei Hälftengeteilt hat. So sieht sich der Besucher gezwungen, sich für eine Richtung zu entscheiden und links oder rechts an der Skulptur entlang zuspazieren. Wie ein großes Schiff, das an beiden Enden spitz zuläuft, ragt die hölzerne Skulptur in den Raum. Ihren Wänden gewinnt Mußinghoff ästhetische Qualität ab, indem er die rauhe, mit Astlöchern durchsetzte und unterschiedlich helle Oberfläche der Schalbretter nicht behandelt, so dass Maserung und Farbigkeit des Holzes eine Rolle spielen. Die Bretter lässt Mußinghoff in einem Winkel von fünf Grad schräg nach unten laufen, ein Winkel, der zwar nur minimal von der Waagerechten abweicht, aber wegen der Länge des Objekts bedeutungsvoll erscheint. Läuft der Besucher an der Skulptur entlang, verliert er hierdurch nach einer Weile die Orientierung und hat den Eindruck, leicht ins Schwanken zu geraten.
Schon bei seiner ersten Holzskulptur, dem 1990 in Belgrad ausgestellten „Block“, hat Mußinghoff mit optischen Irritationen gespielt, wie es etwa Maurits Cornelis Escher in seinen phantastischen Bildern tat. Mußinghoffs Raumskulpturen, deren Formen in ihrer komplexen Unregelmäßigkeit oft kaum zu beschreiben sind, rufen anhand der Anordnung der Hölzer und der Formen optische Täuschungen hervor. In seiner Arbeit „Siedlung“(1992) versetzte der Düsseldorfer die Besucher beispielsweise in einen Raum mit schiefen Wänden, ein andermal ließ er sie über seine Skulptur – eine unregelmäßig schiefe Ebene – in den Ausstellungsraum klettern. Da Mußinghoff seine Objekte immer für einen bestimmten Ort entwickelt, zeigt er sie auch nur dort und zerlegt sie nach der Ausstellung. Das für die Skulptur im Bellevue-Saal verwendete Holz möchte er am Ende der Schau an Kindertagesstätten verteilen: „Wo sollte man das monumentale Werk auch lagern?“
Katharina Deschka
in der Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 9.4.2002