Mimesis

10. Oktober bis 10. November 2019
Fides Becker, Worms | Maria Petschatnikov, St. Petersburg (Russland) | Natalia Petschatnikov, St. Petersburg (Russland) | 
Malerei, 2019

Mimesis

Die Vernissage findet am Donnerstag, den 10. Oktober um 19.00 Uhr statt. Die Einführung hält Dr. Sabine Schlenker, Kunsthistorikerin.

Die Finissage mit Künstlerinnengespräch findet am Sonntag 10. November um 16.00 Uhr statt.

Nach Walter Benjamin ist Mimesis das Paradigma unserer sozialen Existenz. In seinem Text „Über das mimetische Vermögen“ spricht er über „die mimetische Antizipation noch nicht gestalteter Wirklichkeiten“. In einer gemeinsamen Ausstellung im Bellevue-Saal setzen sich die drei Künstlerinnen Fides Becker, Maria und Natalia Petschatnikov mit illusionistischer Malerei und der Architektur des Ausstellungsraumes, der einst als Speisesaal eines Gran-Hotels gedient hatte, auseinander. Bei einigen Gemälden handelt es sich um Trompe-l’œils, eine Sonderform der illusionistischen Malerei, bei der das Bild vorgibt, selbst der Gegenstand zu sein, den es darstellt. „Imitationen“ eröffnen die Möglichkeit, Beziehungen hervorzuheben, kritisch zu beleuchten und dabei gleichzeitig eine neue Wirklichkeit zu schaffen, uns träumen zu lassen.

Alltägliche Gegenstände löst Fides Becker aus dem kollektiven kulturellen Gedächtnis heraus und fügt sie dann in einen neuen Sinnzusammenhang ein. Dadurch lädt sie die einzelnen Dinge mit menschlichen Gefühlen, wie Begierde, Lust und Angst, auf. Somit erhalten sie eine eigenständige Individualität – und gelegentlich auch eine ambivalente Bedeutung. Außerdem schafft sie eine neue illusionistische Räumlichkeit mit herausgebrochenen Stuckelementen, abgerissenen Tapeten und antiquierten Lampen, die eine morbide Romantik vergangener Epochen zum Ausdruck bringen. Die Motive lädt Fides Becker zusätzlich mit menschlichen Gefühlen wie Begierde, Lust, Sehnsucht und Angst auf. Dadurch erhalten sie eine eigene Identität, etwas Wesenhaftes. Die Verbindung der Motive mit einem weiteren Sinn und Raum öffnet den Betrachtenden neue Perspektiven für ihren eigenen Bezug zur Wirklichkeit und was sich in ihr an Sichtbarem und Unsichtbaren, Echtem und Vermeintlichem verbirgt. Bei der Aufdeckung der malerischen Sinnestäuschungen werden sie selbst aktiv zu Kompliz*innen: Die eigentliche Bedeutung entsteht nämlich in ihren eigenen Köpfen. Für die Künstlerin dient die Malerei ihrer kulturanthropologischen Forschung der Entdeckung unerkannter Zusammenhänge.

Die Zwillingsschwestern Maria und Natalia Petschatnikov arbeiten in den Grenzbereichen zwischen Malerei und Installation. In Wiesbaden zeigen sie vier Arbeitsgruppen, die alle das mimetische Prinzip der Täuschung in der Malerei verwenden und Spuren der Vergangenheit als Inhaltsstoff benutzen. Das Interieur eines Museums, Gegenstände aus eigenem Atelier in Berlin, Fußboden-Fragmente und eine begehbare Boden-Installation. Ein mehrteiliges Bild auf dünnen Metallplatten spiegelt den eklektischen Charakter des Berliner Bode Museums wider und hinterfragt die Subjektivität der Geschichtserzählung. Eine Reihe von Trompe-l’œils, die eine atelierbezogene Sammlung von verpackten Gemälden und bespannten Keilrahmen zeigt, deren wichtigste Seite umgedreht bleibt, täuscht und fördert Gedankenspiele. Quadratische und vom ersten Blick abstrakt wirkende Bilder der „Fußboden“-Serie stellen eine faszinierende Welt dar. Das Thema der begehbaren Geschichte wird in einer raumgreifenden Fußboden- Installation weiter erforscht. So unterschiedlich, wie sie sind, können alle diese Motive als fragmentarische und subjektive Sammlungen wahrgenommen werden. Zusammen bilden sie vielschichtige raumgreifende visuelle Erfahrungen, in denen sich Gegenwart und Vergangenheit treffen, Schönheit und Alltäglichkeit, Kunst und Leben untrennbar sind.

Es war für die drei Künstlerinnen ein Anliegen, nicht nur bereits vorhandene Arbeiten zu zeigen, die thematisch miteinander korrespondieren, sondern gemeinsam ein eigenständiges Konzept für den Bellevue-Saal zu entwickeln, das die Räumlichkeit des Ortes aufgreift und ihm eine neue Bedeutung verleiht.

Zwei neue Arbeitsgruppen sind speziell für die Ausstellung Mimesis entstanden: Gemälde, die motivisch die Raumdecke thematisieren (Fides Becker) und eine Serie sowohl plastischer als auch malerischer Werke, die das Thema Fußboden aufgreifen (Maria und Natalia Petschatnikov).

Zwei sich gegenüberliegende Raumbereiche wurden als zwei perspektivische Standpunkte ausgesucht. Die Betrachtenden werden aufgefordert, den Blick mal nach oben und mal nach unten zu richten. Beide Orte verbergen spannende Details, die sonst meist unbeachtet bleiben. Die Raumdecke und der Fußboden spiegeln außerdem auch das soziale „oben“ und „unten“, beziehungsweise wie sich die sozialen Milieus ästhetisch gegenseitig imitieren. Mit Humor werden „Wert“ und „Wertlosigkeit“ der aufgezeigten Gegenstände in Frage gestellt.

In Zeiten universaler digitaler fake-news werden die Betrachtenden durch das Moment der Überraschung für die Bedeutung scheinbar unbedeutender Alltagsgegenstände sensibilisiert. Der Bellevue-Saal mit seiner eigenen komplexen Geschichte und Architektur wird zu einer begehbaren vielschichtigen malerischen Installation, in der sich einzelne Bilder wie Teile zu einem großen Puzzle zusammensetzen.

Fides Becker lebt und arbeitet in Frankfurt am Main und Berlin, Maria und Natalia Petschatnikov pendeln zwischen Berlin und Hamburg.

Mehr zu aktuellen und vergangenen Projekten und Informationen über die Künstlerinnen erfahren Sie unter:
www.fides-becker.de
www.petschatnikov.de

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