Catrin Otto: Gleich. 1 | Ausstellung im Bellevue-Saal Wiesbaden

Catrin Otto: Gleich. 1

Gleich. | Ausstellung Stipendiatin

24. April bis 18. Mai 2003
Catrin Otto, Berlin | 
Installation

Stipendiatenausstelllung

Wenn in Istanbul ein Mensch im Gespräch die zwei Zeigefinger aneinander legt, betont er das Gemeinsame mit seinem Gegenüber, vermittelt auch ein Gefühl der Gleichheit.

Diese Geste spielt eine wichtige Rolle in der Installation, die Catrin Otto im Bellevue-Saal zeigt. Die Künstlerin gestaltete zwei Räume in dem Gründerzeit-Saal mit dem üppigen Decken-Dekor: Zwei Lebens-Räume mit durchaus gemeinsamen Elementen – „gleich“ aber sind sie längst nicht, auch wenn die Ausstellung diesen Titel trägt.

Catrin Otto lebt und arbeitet seit Mitte Januar als Stipendiatin des Vereins zur Förderung künstlerischer Projekte mit gesellschaftlicher Relevanz, Träger des Bellevue-Saals, in Wiesbaden. Die Erfahrungen, die in „Gleich.“ eingeflossen sind, stammen jedoch aus den Monaten, die die 38-Jährige mit Wohnsitz in Berlin im vergangenen Jahr als Stipendiatin in Istanbul verbrachte. Erfahrungen, die sie nach eigenem Bekunden „zwischen die Räume“ geführt haben. Zwei Räume gleich zwei Lebenswelten: Berlin und Istanbul, Deutschland und Türkei, Okzident und Orient.

Wiesbaden (und damit auch das Land ihrer Herkunft) sind für Catrin Otto „durchgestaltet vom Kochbrunnen bis zum Kurpark“. Aus den Mäulern der Stuck-Fratzenaus der Decken-Dekoration des Bellevue-Saales windet sich ein Geflecht von blutroten Schlauch-Gefäßen, die das Leben unaufhörlich versorgen; wie blasse Blüten schießen weiße Pappbecher aus dem normieren Kunststoff-Parkett, die Strohhalme wie Stempel aufragend, aus denen die Bewohner stetig Pollen saugen können: Eine sich immer wiederholende Kunststoff-Welt nach Industrienorm, die keine Überraschungen bietet, aber das Bienenvolk ohne große Anstrengung ernährt.

Der Raum dicht daneben gleicht dem nur in Einzelheiten, hier „ist alles roh und die Oberflächen sind geöffnet“. In Instanbul, in der Türkei ist das Leben offener, ursprünglicher, für viele Menschen härter, nicht so geregelt und vorbestimmt wie in Deutschland, schildert Catrin Otto ihre Erfahrungen.

In diesem zweiten Raum im Bellevue-Saal löst sich das Plaste-Parkett stellenweise in seine Bestandteile auf, das vielfach gebrauchte Zeichen der beiden Zeigefinger durchdringt Dia-Rahmen: Das Grundsätzliche, Gemeinsame, Verbindende menschlicher Existenz stößt an oder überwindet sogar die Umklammerung der normierten Konsumgesellschaft. Anders als hier seien Tod und Krankheit für sie in Istanbul ständig spürbar, sagt Otto. Die Rückkehr in den geordneten, begrenzten Heimat-Raum biete keine Lösung. Das Rohe, das „lauernde Leben“ ziehe sie an, denn „etwas daran scheint zu stimmen, dem Leben gerechter zu werden als die abgesicherte Form bei uns“. Das klingt nach Schwarzweiß-Malerei, wird aber bei Catrin Otto ein gemeinsamer und doch getrennter Welt-Raum in tiefem Rot, Elfenbein, warmen Brauntönen und kühlerem Blau. Die einstige Meisterschülerin im Fach Malerei arbeitet heute mit unterschiedlichen Materialienan ihren Installationen, die zuletzt im Sprengel-Museum in Hannover zu sehen waren.

Ihre Ästhetik ist gleichzeitig streng und spielerisch-sinnlich: Aus den detailliert vorbereiteten Fotos, Collagen und Gegenständen aus der Alltagswelt entstehen sorgfältig arrangierte und durchkomponierte Installationen. Der Farbkanon ist auf Rot, Weiß/Elfenbein, Braun (Körper-/Innenwelt) und Blau (Außenwelt) reduziert. Details der Alltagsgegenstände werden – durch ihre fotografische Vergrößerung entfremdet – zu farbigen, organischen surrealen Formen und Landschaften zusammengesetzt, die gleichermaßen verwirren wie faszinieren. „Wir haben uns alle ein Bild von unserer Welt, von unserem Leben gemacht“, sagt Catrin Otto. Mit ihren Arbeiten verschiebt sie die Perspektive, schafft einen neuen Zusammenhang und zwingt zu einer Auseinandersetzung mit dem vermeintlich Bekannten.

Erhard Lachmann
in der Frankfurter Rundschau vom 24.4.2003

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